Urban Mining revolutioniert die Art und Weise, wie wir über Abfall und Ressourcen denken. Der innovative Ansatz besteht darin, wertvolle Materialien aus bestehenden Gebäuden und Infrastrukturen zu extrahieren und Städte als Rohstoffdepots zu betrachten. Bereits 2019 hat die Region Brüssel ehrgeizige Strategien für die Circular Economy verabschiedet, die den Abriss von Gebäuden in der Region nur noch dann erlauben, wenn ein guter Urban Mining-Plan vorliegt. Zwei beeindruckende Türme in Brüssel veranschaulichen das Potenzial dieses Ansatzes: das ZIN-Projekt und der Multi Tower. Das ZIN-Projekt, das von Befimmo entwickelt wurde, ist mit einer Fläche von über 110.000 Quadratmetern eines der größten Urban-Mining-Projekte in Europa. Der Multi Tower, entwickelt von Immobel und Whitewood, verfügt über 44.000 Quadratmeter und 18 Stockwerke und zeichnet sich als erstes CO2-neutrales Bürogebäude der Stadt aus. Das auf Bau, Immobilien und Infrastruktur spezialisierte Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE, und seine Tochtergesellschaft EPEA, ein internationaler Innovationspartner für umweltfreundliche Produkte, Prozesse, Gebäude und Stadtteile, haben bei diesen Projekten Cradle-to-Cradle-Beratung geleistet und die Umsetzung der Prinzipien der Circular Economy unterstützt.
Aus den Augen, aus dem Sinn – so lässt sich unser Umgang mit Müll wohl am besten beschreiben. Und das trifft auch auf die derzeit größte Abfallquelle zu: den Abriss von Gebäuden. Derzeit landen die meisten Baumaterialien auf Mülldeponien, wo sie entweder zerstört oder zu Produkten mit wesentlich geringerem Wert weiterverarbeitet werden. Dies führt zu einem erheblichen Verlust an wertvollen Ressourcen. Denn Rohstoffe sind endlich, und angesichts des zunehmenden Drucks durch Urbanisierung und steigende Bevölkerungszahlen wird sich die weltweite Nachfrage nach Baustoffen bis 2050 voraussichtlich verdreifachen. Allein in der EU fallen jährlich mehr als 450 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle an.
Michael Moradiellos del Molino, International Head of Sustainability and Circularity bei Drees & Sommer, erklärt: „Wir müssen uns von der Denkweise des Abbruchs lösen und stattdessen die vorhandenen Materialien in unseren Gebäuden identifizieren und überprüfen. Wir sind von mehr als 50 Milliarden Tonnen wertvoller Materialien umgeben.“
Urban Mining befasst sich mit dem kritischen Thema der endlichen Ressourcen, ergänzt die Cradle-to-Cradle-Prinzipien (C2C) und unterstützt die Circular Economy. Zwei Projekte in Brüssel verdeutlichen das Potenzial dieses Konzepts: das ZIN-Projekt und der Multi Tower. Beide wurden von Drees & Sommer und EPEA bei der Integration von Spezifikationen der Circular Economy unterstützt.
Cradle to Cradle im Fokus: Das ZIN-Projekt setzt neue Maßstäbe
Das Projekt „ZIN“, das von der belgischen Immobiliengesellschaft Befimmo entwickelt wurde, umfasst die Renovierung der Türme 1 und 2 des Brüsseler World Trade Center. Nach dem Abriss wurden die bestehenden Türme durch einen neuen Abschnitt mit 14 doppelt so hohen Stockwerken verbunden. Der multifunktionale Raum des ZIN beherbergt auf 110.000 Quadratmetern Büros, Co-Working Spaces, Wohnungen und Hotelbereiche. Er wurde von den Architekten Jaspers & Eyers, 51N4E und AUC entworfen und erreicht eine Höhe von rund 100 Metern. Der Hauptteil von 75.000 Quadratmetern ist für die Büronutzung vorgesehen,
darunter ein Coworking-Bereich. Im Februar 2024 zogen die ersten Einheiten der flämischen Regierung in das Marie-Elisabeth-Belpaire-Gebäude, das Teil des ZIN-Projekts ist. Weitere 14.000 Quadratmeter sind für Wohnungen und 16.000 Quadratmeter für Hotelunterkünfte, Freizeitbereiche, Restaurants und Geschäfte vorgesehen.
Eines der großen Ziele dieses Projekts war die Integration des Cradle-to-Cradle-Gedankens durch die Inventarisierung und Wiederverwendung eines Höchstmaßes an Materialien sowie die Cradle-to-Cradle Certified®-Zertifizierung von Dutzenden von Baumaterialien. Über 1.000 Tonnen Materialien, darunter Doppelböden, Trennwände, Dämmstoffe und Dachziegel, wurden wiederverwendet und 140 Tonnen recycelt. Drees & Sommer und EPEA haben dieses Projekt mit Cradle-to-Cradle-Beratung unterstützt, einschließlich der Identifizierung verfügbarer Materialien und Lösungen, Abbruchunterstützung gemäß C2C und der Implementierung des Materialpasses.
Wim Plaum, Projektleiter bei Befimmo: „Wir wissen, dass die Zukunft des Bauens nicht nur darin besteht, einen Stein auf den anderen zu setzen. Es geht darum, es besser zu machen – für die Menschen und für den Planeten, der uns alle trägt. Deshalb sind wir entschlossen, die Branche umzugestalten, wobei die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt unseres Handelns steht.
Wir streben danach, neue Standards zu setzen, die über das Erwartete hinausgehen. Wir arbeiten eng mit unseren Partnern und Zulieferern zusammen und fordern sie auf, die Cradleto-Cradle-Zertifizierung zu erlangen, denn echter Fortschritt entsteht, wenn wir alle in dieselbe Richtung gehen. Und das ist noch nicht alles. Wir konzentrieren uns auf die Wiederverwendung von Materialien vor Ort durch Urban Mining, um sicherzustellen, dass jedes Projekt in eine Circular Economy einfließt. So setzen wir unsere gemeinsame Vision in die Tat um – indem wir eine Zukunft schaffen, die nachhaltig, praktisch und verantwortungsvoll ist.
Beispiele für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Partnern und Subunternehmern sind die nachhaltige und kreislauffähige Abdichtung von rund 50.000 Quadratmetern durch Derbigum, kreislauffähige Türen, die von Eribel speziell für ZIN entwickelt wurden, und eine Cradle-to-Cradle-zertifizierte Aluminiumfassade, die von der Kyotec Group entworfen wurde.
Darüber hinaus hat CCB Concrete 30.000 Tonnen alten Beton aus den WTC-Türmen in hochwertigen, Cradle to Cradle Certified® Silver-zertifizierten Rundbeton umgewandelt, der beim Wiederaufbau des ZIN als voll tragende Bodenplatte wiederverwendet wurde – zum ersten Mal in den Benelux-Ländern.
Die vielfältigen Stärken des Multi Tower in Sachen Nachhaltigkeit
Nach seiner Renovierung bietet das bedeutende Projekt von Immobel und Whitewood, die das Gebäude Ende 2015 erwarben und bis 2022 sanierten, heutzutage rund 44.000 Quadratmeter Bürofläche für 2.000 Personen sowie Einzelhandelsflächen. Das Projekt hat die BREEAM-Zertifizierung „Excellent“ erhalten und gehört damit zu den besten 10 Prozent der Bürogebäude in Belgien.
Multi ist ein weiteres Urban-Mining-Monitoring-Projekt, das Drees & Sommer mit den Dienstleistungen Building Circularity Passport und Urban Mining Passport unterstützt hat.
Dabei wurden 89% des vorhandenen Betons wiederverwendet, wodurch 3.259 Tonnen gebundener Kohlenstoff, 20.000 Tonnen Abfall, 2.222 Zementlaster und 2.000 Zementlasterfahrten eingespart wurden. Das Gebäude weist den höchsten Prozentsatz an wiederverwendeten Materialien unter den großen Büroprojekten in Brüssel auf, wobei 3 % durch Urban Mining an ikonischen belgischen Standorten in Zusammenarbeit mit dem Kreislaufwirtschaftspartner Rotor DC gewonnen wurden. Aufgrund der Energie- und CO2-Bilanz sowie der Kreislaufwirtschaft haben sich der französische Konzern TOTAL und Bpost, Belgiens führender Postdienstleister, für die Anmietung des Gebäudes entschieden.
Valérie Vermandel, Chief Development Officer bei Whitewood, erklärt: „Die Umgestaltung des Multi Towers ist ein Beweis für unser Engagement für Nachhaltigkeit und Innovation.
Durch die Umwandlung eines dunklen, schweren Bauwerks in ein helles, multifunktionales Bürogebäude haben wir nicht nur den Turm wiederbelebt, sondern auch einen neuen Standard für die Stadtentwicklung gesetzt. Der Multi Tower ist ein Beispiel für unser Engagement für Kreislaufwirtschaft und Umweltverantwortung.“
Laurent Withofs, Projektleiter bei Whitewood, ergänzt: „Renovierungen bringen oft mehr Herausforderungen mit sich als Neubauten. Alte Materialien können beispielsweise Asbest enthalten, was ordnungsgemäß entfernt werden muss, bevor wir sicher weiterarbeiten können. Solche Probleme treten bei Neubauten nicht auf. Daher freue ich mich besonders, zu zeigen, wie wir veraltete Gebäude durch kritisches Denken und die Einbindung der richtigen Fachleute umgestalten können.“
Auf dem Weg in eine regenerative Zukunft
Hein van Tuijl, Geschäftsführer von EPEA Benelux: „Abgesehen von den offensichtlichen ökologischen Vorteilen kann die Betrachtung der gebauten Umwelt als Rohstofflager sowohl Kosten sparen als auch die Gesundheit fördern. Unsere Circularity Passports® bieten detaillierte Informationen über die chemische Zusammensetzung der einzelnen Materialien.
Das ermöglicht die Verwendung ungiftiger Materialien im Bauwesen und hilft, Gesundheitsrisiken in jeder Phase der Nutzung von Kreislaufmaterialien zu vermeiden.“
Seit Beginn des EU-geförderten Forschungsprojekts Buildings As Material Banks im Jahr 2015 hat EPEA Hunderte von Pässen ausgestellt und diese kontinuierlich weiterentwickelt, um die zirkuläre Verwendung von Materialien im Bauwesen zu fördern. Es ist wichtig zu betonen, dass sich der Cradle-to-Cradle-Ansatz vom traditionellen Recycling unterscheidet, das oft Downcycling oder energetische Verwertungsmethoden beinhaltet, die dem Klima- und Ressourcenschutz abträglich sind.
Der Circularity Passport® beschreibt den Wert von Materialien für die zirkuläre Nutzung, einschließlich ihrer Fähigkeit, beim Umbau oder Abriss getrennt, dekonstruiert und wiederverwendet zu werden, wodurch Gebäude zu wertvollen Rohstofflagern werden.
Dieser Pass enthält auch CO2-Fußabdrücke, einschließlich der „grauen Energie“ aus der Produktion, dem Transport, dem Rückbau und der Entsorgung von Baumaterialien, und bietet somit eine umfassende Lebenszyklusbewertung. Mit diesem Instrument sollen die Beteiligten proaktiv darüber informiert werden, wie sie die richtigen Materialien auswählen und sie in einer Circular Economy einsetzen.